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Broschüren zu meiner Privatsammlung:

 

Der Instrumentenkatalog

 

 

Die letzten Aufzeichnungen von Joachim Weischet:

Zur Praxis des Harmoniumbaus bei Lindholm
und anderen sächsischen Herstellern (28 KB)

 

 

oder das gleiche hier online lesen:

Zur Praxis des Harmoniumbaus bei Lindholm und anderen sächsischen Herstellern

Vortrag von Joachim Weischet zum Harmonium-Freunde-Treffen 1996 in Borna

 

Die Zungenherstellung

Bekanntlich gibt es bei den Harmoniumzungen 2 Systeme: Druckwind (das sog. Deutsche System) und Saugwind (das sog. Amerikanische System). Bei Akkordeon und Mundharmonika ist beides in einem Instrument vorhanden.

Ein Wort zum engl. Sprachgebrauch: Beim Druckwind spricht man von Harmonium, beim Saugwind von Orgel

(reed organ) oder Cottage-Orgel (d.h.Haus-Orgel) So lautet der Titel des Gellerman-Buches: Reed-Organ und Harmonium.

Die europäischen Harmoniumbauer mußten früher ihre Saugwindzungen aus den USA importieren. Doch im Jahre 1911 errichtete Theodor Mannborg in Pegau (eine kleine Stadt 20 km westlich von Borna) die erste europäische Fabrik für Saugwindzungen. Die Maschinen waren in Amerika gekauft worden. Mehr darüber lesen Sie im Harmoniumbuch von Herrn Prof. Ahrens. Hier war mir übrigens vieles auch neu und hat sicher auch mein Vater nicht einmal gewußt, was Sie da alles recherschiert haben, Herr Professor.

Im 2. Weltkrieg erwarb die Geraer Firma Gebr. Dix die Mannborgsche Zungenproduktion von Pegau. Anfang der 50er Jahre ging Alfred Dix nach München. Sein fähiger Prokurist Arnold folgte ihm bald nach. Der Betrieb in Gera-Untermhaus wurde "volkseigen", wie man die Verstaatlichung fälschlicherweise nannte. Der Betriebsratsvorsitzende wurde Direktor. Die Folgen lagen auf der Hand. Ich habe das alles später selbst hautnah miterlebt.

Dann wurde die Produktion aufgeteilt und das VEB Deutsches Tonzungenwerk Gera umfunktioniert. Die Akkordeonzungen gingen nach Klingenthal und die Harmoniumzungen nach Gera-Langenberg zur dortigen Klaviaturen- Fabrik (früher Fa. Raaz & Gloger). Doch dort war der Betrieb nur ein Klotz am Bein und Störenfried, schon bezüglich der Arbeitskräfte. Man bettelte mich als Hauptabnehmer mehrfach um die Übernahme. Nach langem Zögern kaufte ich die Maschinen und das Material im Jahre 1969. Nun nahmen wir im jetzt abgerissenen Hintergebäude (wo Olof Lindholm 1894 mit dem Harmoniumbau begann) die Zungenproduktion auf. Ich mußte dazu 2 Werkzeugmacher einstellen, da die Maschinen ausgeklappert und permanent defekt waren. (Film eines Amateurs, von Herrn Averesch neugeschnitten und untertitelt.)

Nach unserer Zwangsverstaatlichung (1974) und meiner willkürlichen Entfernung aus dem Betrieb sollten die 22 Maschinen vom VEB Blüthner-Pianos, dem die Fabrik zugeordnet war, 1986 verschrottet werden. Der Direktor des Staats-Unternehmens, Herr Ingbert Blüthner-Haeßler, hat mich weder gefragt noch unterrichtet. Der damalige Bornaer Betriebs-Direktor und SED Genosse witterte ein Geschäft, da ein englisches Museum (Phil & Pam Fluke) starkes Interesse am Erwerb zeigte. So schaffte er die Maschinen nicht zum Schrottplatz in Leipzig (wie es Herr Blüthner-Haeßler anwies), sondern lagerte diese in einer Scheune in Nauenhain, einem kleinen Dorf in der Nähe von Borna, ein. Doch ein Verkauf in den Westen erwies sich schließlich als Illusion . Außerdem verlangte der Grundstücksbesitzer später die Räumung und so gingen die Maschinen doch noch nach Leipzig zum Schrott. Als ich eines Tages den Vorgang erfuhr und mit meiner Frau in Nauenhain auf die Suche ging, war die Scheune bereits leer.

Die Maschinen wurden in Amerika gebraucht gekauft, dann begann die Produktion in Pegau, dann Gera-Untermhaus, dann Gera-Langenberg, dann Borna, Scheune in Nauenhain und Schrottplatz Leipzig. 7 Stationen dieser wertvollen Stücke, einmalig in Europa. Das zur Geschichte der Harmoniumzungen-Produktion.

 

Das Zungen-Nummernsystem und die Herstellung

Die Firma Dix in Gera legte, nach Längen geordnet, Nummern fest, die sog. DIX-Nummern und zwar von 1 bis 90.

1 für das Contra-C und 90 für das fünfgestr. f. Es gibt 3 Haupt-Mensuren ( das sind die Breiten der schwingenden Federn, nicht die Breiten des Rahmens): schmal : ca. 4 mm, normal: ca. 5 mm und breit: ca. 6 mm (immer mit Toleranzen !). Dann gibt es die Bezeichnung "halbbreit" mit ca. 4,5 mm. Das betrifft z.B. das Gamba 8' Register. Der 16' beginnt meistens im Baß mit 6 mm und geht dann in der Mitte auf 5 mm, also normal. Der 8' hat 4 Breiten, d.h. Mensuren, der 4' und der 2' sind normal. Von Nr. 1 bis Nr. 90 geht nur die normale Mensur. Mannborg und Dix produzierten die schmale Mensur von F 6 bis F 78, wir nur bis C 73, ab Nr. 74 normal. Breit geht von C 13 bis F 66, ab Nr. 67 normal. Damit produzierten wir nicht weniger als 210 verschiedene Ausführungen. Sie können sich vorstellen, wie kompliziert das war mit den vielen Maschinen-Einstellungen und der notwendigen großen Lagerhaltung bei unserer relativ kleinen Branche.

Auf der Unterseite haben die Zungen eine hohle Ausfräsung vom C 1 bis F 66 und zwar bei allen Mensuren, ab Fis 67 nicht mehr. Das hängt mit Intonation und Ansprache zusammen. Die Länge der Rahmen bei den Manual-Zungen geht von 2,3 cm bis 8,8 cm. Bei der deutschen Zungenproduktion betrug die Stärke des Rahmens ca. 2,3 mm, bei den amerikanischen Zungen findet man meist eine Stärke von 2,5 bis 2,6 mm. Diese sind also stärker, aber die Breite stimmt überein. Ist die Zunge zu schwach (deutsche im amerik. Harmonium) müssen tunlichst 2 schmale Pappstreifen unter den Rahmen geklebt werden, damit es nicht klappert. (Wer Bedarf hat: Ich habe noch diverse amerikanische Einzelzungen auf Lager). Es kommt auch vor, daß die Zunge zu stark ist. Da schleift man besser unten ab. Wir hatten allerdings Kanzellen-Aufreiber, z.B. wenn der Stimmstock verquollen war. Aber Vorsicht ! Leicht und schnell ist die dünne Kanzellenwand gebrochen, da entstehen "Durchstecker" (Abhilfe mit Bienenwachs).

Mannborg hatte das Warenzeichen "Jubilate", Dix hatte "Harmola". Wir arbeiteten mit keinem Warenzeichen. Bei dem Zeichen "Monarch" ging es wahrscheinlich um Zungen nach Indien. Wir kennen ja die kleinen Tisch-Harmoniums mit 3 bis 3 3/4 Oktaven, die die Inder heute nochbauen. Kürzlich bekamen wir eine Nachfrage für Zungen nach Indien. Die Instrumente scheinen noch zu gehen trotz der Elektronik. In der Stempelkiste für die Verpackung der Zungensätze fand ich auch das Warenzeichen "GRAMOLA" Made in Germany.

Die rohen Zungen wurden maschinell um einen halben bis einen ganzen Ton höher gefräst. (Manchmal noch höher ab f). Das heißt, das F klang wie Fis oder G. Man feilt auf dem Stimmtisch erst die gesamte Zunge etwas entlang, mit der rechten Hand nach oben links, mehr oder weniger intensiv je nach Größe bzw. Stärke. (Beim 16' unten die Plattform nicht). Damit wird die Zunge elastischer und spricht besser an. Dann feilt man nur noch auf der Seite der Nieten, um auf die richtige Tonhöhe herunterzukommen, die auf der Zunge steht. Man bleibt aber noch 4-5 Hz darüber, um beim Reinstimmen im Instrument schwebungsfrei herunterkratzen zu können. Dann wird der durch das Feilen entstandene Grat mit einem scharfen Messe beseitigt, damit die Feder ohne Hinderung durch den Spalt schwingen kann. (Unsere Stimmer nannten den Arbeitsvorgang "Reinemachen").

Schließich bekommt die Zunge etwa im obersten Fünftel eine kleine Biegung, eine Rundung, um etwas Schärfe vom Ton zu nehmen, eine Art "Intonation", beim schmalen 8' weniger intensiv als beim normalen und breiten 8'. Diese Biegung entfällt unten beim 16' mit der Plattform und endet oben mit leichtem Übergang etwa bei Nr. 65, d.h. beim 4' nicht die oberste Oktave und beim 2' nicht die beiden obersten Oktaven. Dazu nahm man eine kleine, halbrunde "Intonierzange" in verschiedenen Größen.

Wenn auf einer Zunge "B" steht, handelt es sich um "H" (sicher ist das B von Amerika übernommen worden). Der 16' repetiert meistens ganz unten im Baß. Er beginnt beim F mit der Nr. 6, geht bis zum H mit der Nr. 12 (das sind 7 Zungen) und repetiert beim Contra-C mit der Nr. 1. Manchmal beginnt der 16' überhaupt erst beim Contra-C, da fallen die 7 ersten Töne einfach aus, d.h. es gibt dort gar keine Kanzellen im Stimmstock. Der 2' repetiert in der letzten Oktave im Diskant meistens bei fis mit der Nr. 79. Früher ging der 2' auch ganz hoch bis zur Nr. 90. Das war das beinahe legendäre Piccolo-Register von Mannborg. Bekanntlich verschmutzen diese hohen Zungen nicht nur schnell, sie sprechen oft auch schwer an.

Anders bei den alten MANNBORG- Zungen von Pegau. Unsere Stimmer waren da immer des Lobes voll. Ich habe einmal in der Universität Leipzig, im chem. Institut Analysen von den alten Mannborg-Zungenfedern hinsichtlich der Legierung machen lassen. Doch das Walzwerk in Hettstädt konnte diese Qualität nicht liefern. Als unser bester Harmoniumstimmer in Rente ging und ich bereits die Firma verlassen mußte, kam er in meine kleine private Werkstatt und brachte mir diese hohen MANNBORG-Zungen, die noch da waren. Diese hütete er wie einen Schatz und wollte sie nicht im "VEB" lassen. Ich kann mir nur denken, daß Mannborg in Pegau dieses Zungen-Feder- Material in Amerika gekauft hat.

Die Oktav- und Quintzimbeln beim Fabr. LINDHOLM (nach der Mannborg- Übernahme auch bei diesem Fabrikat) repetieren in jeder Oktave. Bei der Aeolsharfe 8' und 2' gibt es mehrere technische Formen, z.B. mit einer oder mit zwei Mützenklappen. Die meisten Hersteller und besonders in der letzten Zeit arbeiteten mit 2 Klappen. Das Grund- Register (wo eine Mütze allein aufgeht) ist dann normal gestimmt,d.h. in der Tonhöhe der anderen Spiele. Die zweite Mütze, die nur mit der anderen zusammen aufgeht (d.h. allein gar nicht !) verdeckt Zungen, die 2-3 Hz tiefer gestimmt sind. Dadurch entsteht die Schwebung. Einen ähnlichen Effekt erreicht man auch, wenn diese zweite Mütze bei gleicher Tonhöhe der Zungen nur ganz wenig aufgeht. Da bekommen die Zungen wenig Wind und klingen dadurch höher. Das betrifft auch 2 Achtfuß-Spiele im Diskant, die sonst beide sebständig sind, wo aber bei einem dritten (also gemeinsamen) Register eine der beiden Klappen ganz wenig aufgeht. Ich erinnere dabei an die Namen Vox Coeleste oder Vox Jubilans. Weniger renommierte Fabrikate schrieben hier auch Aeolsharfe, aber das war nicht echt, schon hinsichtlich der Mensur.

Die Subbässe 16' haben 13 oder 17 Töne, ihre Rahmen sind 15 oder auch 17 mm breit. Sie haben auch verschiedene Längen. Bei 13 Tönen: Tiefes "C" 11,2 oder 9,9 cm, hohes "C" 9,8 oder 8,7 cm. Ältere Subbaß-Zungen haben keinen Schlitz für den Zungenzieher. Da muß man die Nieten zu Hilfe nehmen.

Die Pedal-Zungen sind in der Regel 17 mm breit beim Rahmen. Es gibt aber auch Pedalzungen mit 18/19 mm und 22/23 mm Breite (wie bei den übergebenen Erinnerungstücken v. 8./9.5.1998.)

Bei den Druckwind-Zungen habe ich nicht viel Wissen und auch relativ wenig Erfahrung. Diese wurden nach meiner Kenntnis bei Fa. Silberhorn in Stuttgart und bei Pinet in Paris hergestellt. Es gab auch einen Produzenten in Ulm a.d.Donau. Auf einer Druckwind-Zunge fand ich den Namen "Ruckh"-Ulm. Nach einem Prospekt des Berliner Händlers Carl Simon war das auch ein Harmonium-Hersteller. Es gab auch die Bezeichnung "Esteve"-Paris und auf einer Druckwind-Platte fand ich den Namen "Hof", mehr ist mir unbekannt. Auch Druckwind-Mensuren sind breit, halbbreit (damit ist hier normal gemeint) und schmal. Bei der Aeolsharfe liegen die beiden Federn nebeneinander und werden paarweise schwebend gestimmt. Dabei werden die Zungenfedern notfalls abgeschraubt. Druckwind-Harmoniums zu stimmen ist viel schwerer als beim Saugwind, schon rein körperlich. Man muß jedesmal das schwere Werk hochnehmen. Unsere Stimmer hatten da zur Erleichterung eine Art Flaschenzug in ihrem Zimmer. Druckwind-Zungen gibt es einzeln je Ton und in Oktav-Platten bezw. kürzeren Rest-Platten. Man unterscheidet 3 Stellungen:"Lage rechts", "Lage links" und "aufrecht stehend". Die Befestigung der Zungenfedern erfolgt durch ein oder zwei Schrauben oder durch Nieten. Manche französische Druckwindzungen sind mit Tonnamen bezeichnet:

C = UT D = RE E = MI F = FA G = SOL A = LA H = SI

Zum Schluß möchte ich noch etwas zur Tonhöhe sagen. Im Jahre 1885 wurden mit dem sog. "Wiener Kammerton" international 435 Hz (damals sagte man 870 Schwingungen) in der Sekunde festgelegt. Doch daran hielten sich die Harmoniumbauer zunächst gar nicht. Im Jahre 1978 habe ich eins der ersten 6 MANNBORG-Harmoniums aus der Anfangsproduktion von 1889 in Borna restauriert. Das geschah in meiner kleinen Werkstatt auf dem Privatgrundstück, denn hier wurde ich ja nicht mehr geduldet. Dieses seltene Stück ist im Buch von Herrn Prof. Ahrens "Das Harmonium in Deutschland" auf S. 308 unten abgebildet. Sie können es am Sonntag in Leipzig sehen, wenn Sie das Museum be- suchen. Es hat 441 Hz. Bei anderen deutschen Instrumenten aus dieser Zeit habe ich sogar 445 bis 450 Hz gemessen. Doch etwa zur Jahrhundertwende pendelte es sich auf 435 Hz (also damals 870 Schwingungen) ein. 1939 kam es dann in London zur 2. Internationalen Stimmkonferenz, wo 440 Hz in der Sek. festgelegt wurden. Auch daran hielten sich die Harmoniumbauer nicht. Sie blieben nun bei 435 Hz, vielleicht nicht aus Sturheit, sondern mehr aus einer gewissen Qualitätsorge heraus, oder nach dem alten Motto: "Was der Bauer nicht kennt....." (Hier der Harmonium b a u e r ). Heute können wir niemand mehr fragen, ich leider meinen Vater auch nicht. Als er noch lebte, hatte ich andere Sorgen. Als MANNBORG verstaatlicht wurde, verlagerte man die Harmoniumproduktion zur Leipziger Pianoforte-Fabrik (früher Hupfeld-Zimmermann) in Böhlitz- Ehrenberg. Da ging man in Übereinstimmung mit den dort hergestellten Klavieren sofort auf 440 Hz über, ich aber blieb noch immer bei 435. Das war einfach keine Problematik für mich und es hatte weltweit auch kein Kunde anders verlangt. Erst als ich im Jahre 1961 MANNBORG übernahm, paßte auch ich mich bei LINDHOLM mit 440 Hz an. Heute verlangen Orchester, wenn Harmonium vorgeschrieben ist – und das ist jetzt immer öfters der Fall – 442 bis 444 Hz und mehr.Ich habe schon eine Reihe höher gestimmt. Meistens nehme ich da neue Zungen, mindestens bei hohen Spielen; denn der Sprung von 435 zu 444 ist doch ziemlich groß und oft sind die Zungenfedern schon sehr dünn.

 

Herstellungsnormen im ostdeutschen Harmoniumbau

Die Normen, auf die ich jetzt zu sprechen komme, wurden nie irgendwo offiziell festgelegt. Es sind nur Erfahrungswerte, die von einer Generation zur anderen Generation bzw. vom Meister auf den Lehrling mündlich übertragen wurden. Unsere Auszubildenden bekamen keinerlei Fachbuch in die Hände. In der Berufsschule waren die Harmoniumbau-Lehrlinge in der Tischler-Klasse und die Stimmer-Lehrlinge bei den Friseusen.

  1. Tastenfall (der Klavierbauer sagt Spieltiefe). Beim Spinett und Cembalo haben wir 7-8 mm, bei der Pfeifenorgel ca.8,5 mm, beim Piano und beim Flügel 9,5 mm und beim Harmonium 11 mm. Das hängt mit dem notwenigen Öffnen der Ventile zusammen. Wenn sich der Klaviaturfilz stark eindrückt, ist meist 11,5 mm noch möglich. Wenn es mehr wird, "ersaufen" die Halbtöne und es besteht die Gefahr, daß die Ventile auf die Stifte rutschen und dort sitzen bleiben, zumal bei straffem Spiel. Oft trifft man aber nur 6-8 mm an, manchmal noch weniger. Das ist viel zu wenig und hat negative Auswirkung auf Ansprache und Stimmung.
  2. Lufthaltung des Reservebalges. Die Prüfung sieht so aus: Sie treten solange, bis Sie hören, wie die Luft hinten aus dem Abstoßventil zischt. Nachdem Sie vom Grundspiel 8 (z.B. Melodia) das Register gezogen haben, drücken Sie das a' herunter. Der Ton muß 15-20 Sek. halten. Bei gutem Gummistoff und großem Gebläse hält der Ton sogar 30-40 Sek. Dann darf allerdings zwischen Gebläse, Boden und Stimmstock-Zarge kein Wind verloren gehen. Die Harmoniumbauer prüften das mit einer Kerzenflamme, wie ich es oft miterlebt habe. Mein Großvater (der sog. Harmonium-Weischet) sprach immer von 26 Sekunden bei einem 4-Spiel. Wir wissen ja, daß der Ton bei vielen alten Harmoniums nur 3 – 4 Sek. hält, also viel zu wenig. Der von uns benutzte Gumistoff hatte 300 Gramm pro Quadratmeter Beim Koffer-Harmonium waren es 200 Gramm. Das beste und teuerste Gebläsematerial bestand aus zweiseitigem Stoff mit guter Gummi- Beschichtung innen. Bei der Tropenausführung war das oblogatorisch . Der normale Gummistoff wird nach 50-70 Jahren porös bezw. hart und bricht.
    Noch ein Wort zu den Federn. Sie wurden nach Pfund gemessen. Die Schöpferfedern drückten in der Regel 6 Pfund. Sie gibt es aus Flachstahl und aus Draht. Flachstahl ist sehr oft gebrochen (meist in der Nähe der Nieten). Schweißen hilft nicht. Im Reservebalg befinden sich zwei Flachfeder von ~10 bis 16 Pfund, je nach Größe des Gebläses bzw. Anzahl der Spiele. In den großen Gebläsen (6 bis 8 Spiele) kommt noch eine dritte Feder von 10 – 12 Pfund hinzu, d.h. zum Beispiel zweimal 16 Pfund und einmal 10 Pfund = 42 Pfund. In meiner jahrzehntelangen Praxis sind die Flach-Federn im Reservebalg nur ganz selten gebrochen. Schöpferfedern werden ja auch viel mehr strapaziert.
  3. Die Trittbretter sollten so hoch sein, daß man mit den Fußspitzen ohne Reibung am Gehäuse durchsto8en kann. Sonst muß man zuviel treten. Man soll auch immer den vollen Weg der Tritte ausnutzen. Bei manchen Fabrikaten (z.B. Mannborg) kann man die Gurte durch Schlaufen gut kürzen. Sonst ist das an den Tritten leicht möglich. In dem Zusammenhang: Zum Spielen keinen Zimmerstuhl mit Kissen nehmen, sondern schrägen Hocker oder schräge Bank mit ca. 60 cm Höhe.
  4. Die Koppel (oder Koppler) sind nur für 5 Oktaven vorgesehen. Diese gibt es durchgehend (sog. Oktav-Koppel) oder geteillt (Bass- und Diskant-Koppel). Die Teilung sieht in der Regel 18 Ärmchen im Baß und 19 Ärmchen im Diskant vor. Es gab aber auch die Teilung 25 zu 12 und 21 zu 16. Wenn man das Koppel- Register zieht und eine Taste drückg sollte die Oktav-Taste, die mit heruntergeht, f a s t die gleiche Spieltiefe (Tastenfall) haben wie die gedrückte Taste. Ich sagte fast, weil sonst die Gefahr des Überkoppelns besteht und dadurch Ventilpfeifer auftreten. Bei zu wenigem Tastenfall der Oktave andererseits besteht die Gefahr der Verstimmung (geringes Aufgehen des Ventils und daher zu wenig Luft).
  5. Die Vox Humana (andere Namen: Tremolo, Vibrator, Tremulant) sollten nicht rasen. Die beiden Flügel sollen sich relativ langsam und sichtbar drehen. Das kann man ganz gut mit dem Ventil regulieren.
  6. Die Halbzüge (sog. Dolce-Register) sollen etwa halb so stark klingen wie die Vollzüge, möglichst noch etwas weniger. Andererseits muß aber die Ansprache garantiert sein
  7. Die Spielapparate gibt es eingebaut (herausschiebbar) oder aufgesetzt, mit 3 Reihen Knöpfen oder einer kleinen Klaviatur. Sie wurden hergestellt von den Harmoniumfabriken Müller in Werdau (Name Harmonista) und Liebmann in Gera (Liebmannista) mit eigener jeweiligen Literatur. Wer hinter dem Spielapp. "Leganola" steht, weiß ich noch nicht. Hörügel bot den Spielapp. mit Namen "Regnator" an.
  8. Transpositeur gab es bei 4 und 5 Oktaven. Hier wird die Klaviatur mit 3 Tönen nach dem Diskant und 4 Tönen nach dem Baß verschoben (Export meist nach Mittel- und Südamerika für Kath. Kirchen).
  9. Tropenausführung. (10 % Preisaufschlag): Gehäuse massiv Eiche, statt Filz weitgehend Leder, nur Messingschrauben, z.T. andere Teile in Messing statt Eisen, Gummistoff mit Doppelgewebe, keine offenen Tritte (nur als Klappe), Gehäuse unten geschlossen, Messing-Gaze hinter den Stoffen von Rückwand und Füllungen, Zelluloid der weißen Tasten zweimal vorn herumgezogen und zusätzlich hinten und unten mit Messingstiften befestigt.

 

Fehler und Störungen finden und beseitigen

12 Gründe für Ventil-Pfeifer (Heuler):

Ventil-Pfeifer heißt, es klingen Töne, sobald man klingende Register zieht oder den Volle-Werk-Kniehebel links betätigt, optimal die Pedale tritt, ohne jedoch eine Taste zu berühren.

  1. Stocherstäbe (sog. Stößer) zw. Taste und Ventil, fest oder krumm. Schleifen, graphitieren, erneuern,
  2. Tasten fest. Mit Druckzange oder Feile (wenn es hinten ist) Löcher erweitern, Stifte leicht fetten.
  3. Fremdkörper klemmt im Stimmstock-Loch. Fällt heraus, wenn man Stocher und Ventil entfernt. Notfalls leuchten und mit Haken oder Pinsette entfernen. Fremdkörper liegt auf dem Ventil (Taste liegt meist tiefer)
  4. Koppel-Ärmchen klemmt am Stocherstab. Ärmchen ausgeklappert (austuchen) oder Koppel insgesamt einen halben Millimeter zurücksetzen. Dabei beachten, daß das Ärmchen noch den Koppelring erfaßt. Manchmal ist das Ärmchen auch verquollen und sitzt fest.
  5. Ventil sitzt im Stift fest. Schlitz leicht feilen, Stift wenig fetten.
  6. Ventil hohl oder krumm. An der Stelle, wo ein Spiel pfeift, zwischen Filz und Holz ca. 2 cm langen Papierstreifen mit Leim (langen Strich) einschieben.
  7. Ventil-Leder hart oder deformiert. Neues Leder, aber nur an den Stimmstock-Durchbrüchen Knochenleim mit dünnem Strich.
  8. Ventil-Filz hart oder deformiert oder vermottet. Neuer Filz und neues Leder, Leimstriche an den Stellen der Stimmstock-Durchbrüche.
  9. Stimmstock-Boden hat gearbeitet und ist rund oder hohl geworden. Mit großem Klotz und nach Messen mit genauem Richtscheid abschleifen mit Sandpapier mittlerer Körnung. Vorsicht bei denVentil-Stiften (Ventil-Pfeifer) Vorher Ventile und Zungen entfernen. Hinterher gut ausblasen. Das ist eine sehr schwierige Aktion und sollte nur jemand durchführen, der sehr gut technisch begabt ist !
  10. Ventil-Federleiste gelöst. Federn entfernen, neu verleimen und mit Boden von oben verschrauben.
  11. Ventil-Feder gebrochen oder erlahmt. Erneuern oder spannen, auch stärkere Feder nehmen.
  12. Bei größeren Harmoniums ab 5 Spielen sind z.T. Doppel-Ventile mit Wippen eingebaut. Hier arbeiten meist vorn flache Stahl- Federn und hinten Draht-Federn. Ab 7 Spielen sind oft auch 3 Ventile vorhanden. Hier gibt es die Möglichkeit, die Pfeifer durch Stellen der Madenschrauben zu beseitigen. Man kann auch die flachen Stahlfedern mittels deren Holzschrauben spannen. Diese Arbeit ist kompliziert und verlangt viel Fingerspitzengefühl.

 

6 Gründe für M ü t z e n pfeifer (Heuler)

Dieser Fehler liegt vor, wenn das Gebläse betätigt wird und eine Taste drückt, aber keine Register zieht bezw. den linken Kniehebel nicht benutzt und trotzdem Töne kommen.

  1. Mutzen-Klappen verzogen. Ausbauen, Leder entfernen, gerade hobeln (oder neue Mützen nehmen), neues Leder anbringen. Die rauhe Lederseite muß in Richtung Zungen liegen
  2. Leder hart oder porös. dieses erneuern, 1-2 mm Dichtrand unten beachten.
  3. Federlahm oder gebrochen. Erneuern bezw. spannen mit Flachzange. Evtl. auch daneben eine zweite Mützenfeder anbringen.
  4. Innerhalb der Register-Mechanik hängt oder hemmt etwas, wodurch die Mütze nicht ganz zugeht. Mit dem Finger hochheben und zuschnappen lassen. Wenn es dabei federt, hängt irgendetwas oder berührt sich irgendwo. Untersuchen und abstellen.
  5. Fremdkörper unter der Mützenklappe. Das habe ich oft erlebt. Mit linker Hand hochdrücken und mit rechter Hand darunter langfahren.
  6. Mützenband festgerostet. Ölen oder erneuern.

5 Gründe für Quietschen der Tritte

  1. Gurtrollen fetten. Manchmal bequem möglich, wenn Schlitze in den 4 Achsklötzen sind. Dann die Rolle hochschieben und darunter fetten. Früher nahm man Hirschtalg. Wir verwendeten Rindertalg mit Pferdefett gemischt. Wenn vorhanden, die Füllung über den Tritten nicht herausnehmbar. Sonst muß das Instrument auf die Seite gelegt werden, damit man von unten (notfalls mit Taschenlampe) gut hantieren kann. Wenn die Achsklötze keinen Schlitz haben, muß man sie abschrauben.
  2. Trittscharniere ölen bezw. befestigen. Evtl. Filz zwischen Scharnier und Holz.
  3. Schöpferfeder-Krallen fetten oder Löcher im Holz fetten.
  4. Geräusche Holz auf Holz, z.B. Trittbrett an den Knacken (Filz einschieben) oder Gehäuse-Vorderfront an den Gehäuse-Seiten. Das muß man durch Drücken mit der Hand finden.
  5. Knarren nach dem Treten (wenn der Reservebalg zurückgeht). Da muß man das Gebläse innen untersuchen und den Gummistoff auf einer Seite lösen. Manchmal reiben die Federn bei den Krallen (fetten !) oder es berühren sich ihre Schenkel (Filz dazwischen einleimen) Vorsicht ! Die Reservebalg-Federn sind sehr kräftig !

 

 

 

 

Kontakt:
harmonium@t-online.de